Petra Meyer Jacobi als Zeitzeugin zu Gast im Lycée Bel Air
Petra Meyer Jacobi als Zeitzeugin zu Gast im Lycée Bel AirDie Idee entstand während des gemeinsamen Berlinaufenthalts der Partnerstädte Bersenbrück und Tinténiac im Sommer dieses Jahrs. Hier gab es für die Teilnehmenden die eher seltene Gelegenheit, sich hinsichtlich politischer Themen auszutauschen. Die französische Seite war erstaunt, wie vielfältig die persönlichen Erfahrungen der Bersenbrücker Gruppe mit der deutschen Teilung bis 1989 waren. So lernte sie nicht nur die historischen Orte in Ost- und Westberlin kennen, sondern erfuhr auch von der Bedeutung der Mauer in lebensgeschichtlicher Perspektive. Petra Meyer-Jacobi vom Partnerschaftsverein Bersenbrück-Tinténiac e. V. vermittelte den französischen Freunden lebendig und anschaulich, wie sehr die deutsch-deutsche Teilung ihre Kindheit und Jugend geprägt hatte. Ihre Eltern waren 1957 in den Westen geflohen. Ihre Großeltern und Verwandten in Ostdeutschland sah sie erstmals als junges Mädchen.
 
Berührt von dieser Erzählung und überzeugt, dass diese persönliche Sicht zu Hause in Frankreich ein sehr guter Anknüpfungspunkt für ihre Schüler sein könnte, die Geschichte Deutschlands zu verstehen, fragte Sophie Saliou, ob Petra Meyer-Jacobi als Zeitzeugin zur Verfügung stehen würde. Zunächst dachten die beiden an ein Zeitzeugengespräch über Skype. Doch da Petra Meyer-Jacobi kurzfristig angeboten wurde, mit dem Badberger Partnerschaftsverein zum Adventsmarkt nach Hédé zu reisen, ergab sich die Möglichkeit zu einer persönlichen Begegnung vor Ort.
 
So besuchte Petra Meyer-Jacobi Anfang Dezember das Lycée Bel Air in Tinténiac und vermittelte den Schülern ihre ganz persönliche Sicht auf die Teilung Deutschlands und die Bedeutung der Mauer. Sie erzählte, warum die Flucht notwendig geworden war: Ihr Vater hatte ein loses Mundwerk gehabt und war nicht bereit gewesen, sich dem DDR-Regime anzupassen. Bestärkt wurde sein Wunsch, die DDR hinter sich zu lassen, von seinen Freunden, den Mannschaftskameraden des Eishockey-Teams SC Dynamo Berlin. Sie planten ihre Flucht gemeinsam und besprachen, wie sie im Westen Fuß fassen könnten. über West-Berlin, in dem die Familie Verwandtschaft hatte, reiste sie schließlich aus, indem sie einen dortigen Besuch vortäuschte. Petra Meyer-Jacobi war gerade 2 Jahre alt geworden, ihre kleine Schwester lag noch im Kinderwagen. Von Berlin aus wurden sie gemeinsam mit den Familien der Sportkameraden ausgeflogen. Es existiert noch ein Foto, das das kleine Mädchen Petra und ihren Vater zeigt, wie sie aus dem Flugzeug steigen. Da die für DDR-Flüchtlinge vorgesehenen Wohnungen noch nicht fertiggestellt waren, kamen sie zunächst in einer Notunterkunft in der Westfalenhalle in Dortmund unter. Die Freunde und Mannschaftskameraden aus der DDR hatten Glück und konnten nach wenigen Wochen Häuser in unmittelbarer Nachbarschaft beziehen.
 
Nach der Flucht wagte die Familie es zunächst nicht, wieder in die DDR einzureisen. Zu groß war die Sorge, dass ihnen die Rückreise in den Westen verwehrt würde. Erst nach 9 Jahren, als die Mutter von einem Kollegen erfuhr, dass es ihm gelungen war, seine Verwandten in der DDR zu besuchen und ohne Probleme in den Westen zurückzukehren, wagte es Petras Mutter, zu ihren Eltern und Geschwistern nach Bergsdorf nördlich von Berlin zu reisen. 1966 begegnete Petra Meyer-Jacobi zum ersten Mal ihrer Großmutter. Ihr Großvater war leider schon verstorben. An seiner Beerdigung hatte ihre Mutter nicht teilnehmen können. Im Bahnhof Friedrichstraße wurde die Familie von ihren Verwandten erwartet. Petra Meyer-Jacobi, damals 11 Jahre alt, wurde bewusst, wie sehr dieses Wiedersehen ersehnt worden war: Alle Erwachsenen um sie herum hatten Tränen in den Augen und weinten.
 
Von nun an fuhr die Mutter regelmäßig mit ihren beiden Töchtern in die DDR. Auf ihren Reisen brachten sie ihren Verwandten die dort heiß begehrten „Mangelwaren“ mit: Kaffee, Früchte und andere Dinge, die in der Planwirtschaft der DDR nicht in den Mengen angeboten werden konnten, dass sie für alle zu kaufen waren. Für Petra Meyer-Jacobi ist die DDR auch aus diesem ganz einfachen Grund gescheitert: Die Idee der gerechten Verteilung dessen, was vorhanden ist, mag zwar wunderbar sein, aber eine Mangelwirtschaft, die nicht alles bereitstellen kann, was man braucht, überzeugt nicht. Menschen brauchen mehr als lediglich „das Nötigste“.
 
Petra Meyer-Jacobi berichtet als Zeitzeugin in der Berufsschule Bel-Air in Tinténiac
 
Foto: Sophie Saliou